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Die Wilden an ihren Maschinen

(Neue Medien und so)

[42/99]


Erich Ledersberger
de nada


Vor langer Zeit kam ein moderner Mann zu einem weisen König und sprach: "Größter und klügster aller Herrscher, der Du Deine Untertanen liebst und ihnen Gutes tust, ich bringe Dir etwas, das wird alle Menschen klüger und glücklicher machen. Ich mache Dir eine Kostbarkeit zum Geschenk, auf daß Dein Name eingehen kann in die ewige Geschichte und Du unsterblich wirst."
Der König, der wie gesagt sehr weise war, befürchtete nach dieser Ankündigung bereits Schlimmes. Aber da er auch gütig war, ließ er den Mann sich setzen und seine Erfindung vorstellen.
"Ich habe etwas gefunden, das es erlaubt, das Wissen der Menschen aufzubewahren für alle Ewigkeit, damit die Kinder unserer Kindeskinder und deren Kinder auf alles Wissen der Menschheit zurückgreifen können. Es sind Zeichen, die alle verstehen können, damit die Welt noch schöner, noch herrlicher werden kann. Ich nenne diese Erfindung die SCHRIFT. Jeder kann ihre Zeichen malen und wiedererkennen. Ich nenne es schreiben und lesen."
Der König dachte nach, wurde blaß und ein großer Schrecken ergriff ihn. Er raufte sich die wenigen Haare, die er hatte – denn weise Menschen haben kaum Haare, dazu haben sie sich zu viele aus Verzweiflung ausgerissen -, und er sprach:
"Unglücklicher! Deine Erfindung macht die Menschen nicht klüger, sondern dümmer. Nun werden sie sich nichts mehr merken, weil sie ohnedies alles – wie nennst Du es? – ja, schreiben können. Und sie werden glauben, daß es genügt, alles aufzuschreiben oder zu lesen, während es doch das Wichtigste ist, zu leben!"
Der weise König wußte natürlich, daß eine solche Erfindung nicht zu verhindern war, und so ließ er den fortschrittlichen Menschen das Glück über die Erde bringen.
Wo der Fortschritt angelangt ist, sieht man jedes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse, und auch dieser Text ist eine unselige Nachwirkung dieses Ereignisses. Die wahrhaft Weisen, Buddha, Sokrates, Jesus, haben ja nichts geschrieben, wahrscheinlich konnten sie zu ihrem Glück nicht einmal lesen.
Was aber hätte der weise König gemacht, wenn er einen Internet-Anschluß bekommen hätte? Er hätte sich erschossen, wenn er gekonnt hätte.

Der Vertrottelungskoeffizient
Die CO2 – Konzentration hat seit der Erfindung des Autos einen nahezu senkrechten Anstieg. Die Vertrottelung der Menschheit verläuft ab dem Internet parallel dazu. Telefon, Fax und Handy waren nur Einübungen in diese Katastrophe.
"Diagnose vom Computer". "Für welche Jobs man kein Büro mehr braucht". "Das Biowetter auf einen Blick." "Teleshopping erspart Suchen." "Urlaubsfreude via Bildschirm!" Und Sex sowieso und überall. Cybersex also.
Gute alte Zeit, als ein weiser König sich noch die Haare raufte wegen der Erfindung der Schrift. Entsetzliche Gegenwart, in der unsere Obertanen das schrecklichste Ereignis der letzten Jahrzehnte in Zuckerguß tauchen statt sich zu entleiben. Denn Internet ist die Atombombe für den Geist: eine kurze Explosion und verheerende Spätfolgen für Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte.

Das binäre Denken
Strom aus – Strom ein. Ja – Nein. Gut – Böse. Das binäre Denken kennt nur diese Antworten. Sie sind praktisch, wenn sie nicht die einzigen bleiben. Kinder lernen anhand von Ja-Nein und Gut-Böse die Welt kennen. Später erfahren sie, daß sie komplizierter ist. Deshalb gehen Kinder so unverschämt gut mit dem Computer um: er entspricht ihrem Denkmuster. Das Blöde daran ist, daß sie in diesem Denken verhaftet bleiben. Und daß Erwachsene zu Kindern werden: nicht kindlich, sondern kindisch. Die Infantilisierung nimmt zu.
War in den vergangenen Jahrzehnten der Narziß die ökonomisch erwünschte Form des Menschen, wird es nun der Autist. Verliebte sich Narziß wenigstens noch in EINEN Menschen, wenn auch bloß sich selbst, so ist der zukünftige Mensch selbst dazu unfähig. Das ist gut so, sonst könnte er die Nachrichten nicht mehr ertragen, sagt der Optimist. Der Pessimist meint, daß nun der Völkermord in Nigeria, Ruanda oder sonstwo zum Video verkommt. Die bloße Verdrängung der Wirklichkeit reicht nicht mehr aus, nun muß der Mensch, aus Selbsterhaltungstrieb, zu einer stärkeren Droge greifen: der Unberührbarkeit. Vom Single zum Paria, das ist die Devise.

Informationssondermüll für die Gehirne
Internet bietet eine ballastartige Menge von Informationen. Abgesehen von ein paar Wissenschaftern, denen die Sache nützt: Wozu das alles? Niemand weiß eine Antwort, weil niemand, der im Netz des Internet strampelt, diese Frage mehr stellt. Aufgeregt wie Ameisen, denen man längst den Ameisenhaufen abtransportiert hat, tragen die User immer mehr Informationen auf ihrem Buckel und wissen nicht, wohin damit.
Information ohne Sinn ist sinnlos. Sinn kommt von sinnlich. Der einzige Sinn, der von Internet angesprochen wird, ist der Tastsinn. John Hawkings, der geniale Physiker, dessen Krankheit seinen Körper so kaputt gemacht hat, daß er sich nur mehr über einen Finger per Computer mit anderen verständigen kann, ist eine der wenigen positiven Ausnahmen. Bei den anderen Anwendern wird es umgekehrt sein: sie werden solange nur mehr mit den Fingerkuppen kommunizieren, bis ihr Geist kaputtgeht.
Wissen ohne Erfahrung ist steril. Reagenzglaswissen.
Internet ist wie herkömmliche Schule, bloß ins Skurille erhoben: war einem in der Schule wenigstens noch fad, wenn der Lehrer von der Blütenpracht erzählte, während im Schulhof die Kastanienbäume blühten, ist der User fasziniert vom bunten Blütenmeer, das auf seinem Monitor erscheint. Oder von der nackten Frau, die auf Mausklick sich auszieht. So einfach geht es nicht einmal im Bordell zu, dort muß gleich bezahlt werden.
DER User? Warum eigentlich nicht DIE USERIN? Weil der Anteil der Männer am Internet so hoch ist wie ihr Anteil an den Mördern. Darum DER User.
Internet macht aus Menschen sterile Figuren, die das Leben nur vom Hörensagen kennen, besser gesagt: vom Starren. Der Internet-User schaut nur mehr blindlings in die Sintflut der Bytes, Megabytes und Gigabytes. Antworten kann er nur mehr in den News-Groups, in denen sogenannte Kommunikation stattfindet. Dort herrscht eine Sprache vor, die jede amerikanische Seifenoper als poetisches Meisterwerk entlarvt.
Hatten jedes einsame Berner oder Wiener Würstchen, jeder Hamburger oder Pariser bisher die Hoffnung, daß wenigstens außerhalb ihrer Heimatstadt wohlmeinende Lebewesen existieren, wissen sie nun, da sie einen Internet-Anschluß haben, daß die ganze Welt ein einziges Wien ist, ein riesiges Dorf, das "Global Village", vollgepfropft mit anderen Menschen, die niemanden leiden können, nicht einmal sich selbst. Die Aufforderung "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst" wird da zur Lebensbedrohung.
Internet ist die Fortsetzung der Vereinsamung mit anderen Mitteln. Vom Internet zum Multidepp ist es ein kleiner Schritt für den einzelnen, ein großer für die Menschheit.

°°°°°°°°°°
[Zum Titel "Die Wilden an ihren Maschinen":]
Der Wiener Philosoph Helmut Qualtinger sang einmal über die Fans von James Dean, die auf ihren Motorrädern unterwegs waren nach Nirgendwo:
"Ich weiß nicht, wo ich hin will, dafür bin ich schneller dort."
Er kannte Computer und Internet noch nicht, wußte aber schon Bescheid.

Feedback: Kakanien@asn-ibk.ac.at
http://www.van.at/ax/erich.htm

updated: 18.10.1999 by martin krusche
 
 
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