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Das Milieu

Wovon handelt der Begriff "Initiativenszene"?
[Beschreibung eines Ausschnitts]
[37/99]

Was sich über gesellschaftliche und historische Prozesse sagen läßt, ist vor allem eines: Sie vollziehen sich ungleichzeitig. Pragmatische Politik muß solche Umstände wohl einebnen, um Handlungsfähigkeit generieren zu können – so heißt es. Für kulturelles Engagement auf der Höhe der Zeit, besteht dieser Zwang nicht. Ganz im Gegenteil.


Von Martin Krusche
de nada


Das bedeutet vor allem: Gestützt auf laufende Theoriearbeit, ständig beeinflußt von wechselnden praktischen Erfahrungen, entstehen Konzepte und Diskussionsbeiträge, die stark von kleinräumigen, regionalen Bedingungen beeinflußt sind. Das bedeutet aber nicht: Enge. Was sich dabei auftut, ist ein Ganzes von vielen Räumen (als Aufenthaltsort einer Gesellschaft). Dieses Ganze ist keine "Supercity", kein "Megazentrum". Es ist ein neuer Kommunikations- und Handlungsraum, dessen aktuelle Bedingungen und Perspektiven unsere vertrauten Vorstellungen von Sozietät, Kultur und Politik verschieben. Ich nenne es Neue Räume. (Lebens-) Räume kulturellen Geschehens, die vom alten Denkmodell "Zentrum / Provinz" nicht mehr gefaßt werden.

Ungleichzeitigkeit
Worauf liegt das Augenmerk, wenn man jenseits der (alten) Zentren – Peripherie, Provinz – ein kulturelles Engagement entfaltet, das den aktuellen, radikalen Veränderungsschüben rechnung trägt? Vor allem darauf, nicht neuen Wellen einer kulturelle Urbanisierung der Provinz zuzuarbeiten. Auch das ist historische Episode: Daß der Provinzmensch mit offenstehendem Maul die Stadtleute bestaunt.
Ich verwende den Begriff "kulturelles Engagement" für ein Vorhaben, das künstlerische Praxis ebenso beinhaltet wie Vermittlungsarbeit, das Theoriearbeit ebenso meint wie (kultur-) politisches Handeln. Ich vermeide Begriffe wie "Kulturarbeit", weil mir der darin gebundene Arbeitsbegriff vorerst noch zu unreflektiert erscheint.

Kulturelles Engagement
Es geht dabei um eine reale Existenz, die sich nicht bloß in einer noblen Distanz zum Alltag zu entfalten vermag. Das kulturelle Engagement ist auf Raum und Region konzentriert, betont aber auch die überregionalen Verknüpfungen. Raum meint hier die nächste, unmittelbare Umgebung des eigenen Lebens- und Arbeitsraumes, des Ortes, an dem man sich eingerichtet hat. Region meint wesentlich ein konventionelles Bezugsgefüge, das einem durch dessen Vorgeschichte als zusammengehörig angeboten wird. Hinterlegt durch jene Raumvorstellung, die durch die Reichweite eigener Wahrnehmung und durch die Grenzen eigenen Handlungsvermögens entsteht. (Als bewußte Abgrenzung zur Scheinkompetenz, die aus dem Data-Overflow weltweiter Berichterstattung und Telekommunikation entsteht.)
Leute wie ich bilden – quer durchs Land – keinen Pool, keinen Verband, keine neue IG. Was man gründen kann, ist alles längst gegründet worden. In meiner Umgebung sucht niemand neue Mitgliedschaften. Daß Kooperation wichtig ist, haben wir längst geklärt. Ob und wie man sich folglich formieren soll, steht auf einem anderen Blatt und ist Gegenstand neuer Vorhaben. Aus den Erfahrungen zeigen sich da drei wesentliche Problemzonen, die nach aktuellen Lösungen verlangen: Informationsfluß, Transparenz und Kommunikation.
Meine bisherigen Erfahrungen legen den Schluß nahe, daß wir zeitgemäße Formationen sehr gut realisieren können, indem wir das über Informationsgebarung und Kommunikationsverhalten regeln. Damit verlassen wir zwar die altvertrauten Formen von Verbandswesen, sind aber wesentlich näher an dem, was eine EDV-gestützte Community sein kann. Es ist längst Zeit für neue Schritte in neue Räume.
Auch, weil unser eigenes Milieu inzwischen Funktionärspersonal hervorgebracht hat, das in gutem Einvernehmen mit Politik und Verwaltung zwar für uns aber nicht mit uns handeln. Gelegentlich, indem sie uns am Rande aller Redlichkeit als Legitimation ausnutzen ... für eher private Partikularinteressen.

Neue Ansätze
Wir brauchen offene Konferenzen und Plattformen, die Offenheit nicht bloß als Bannerspruch führen. Themen- und projektbezogen. Ohne Zugangsbeschränkungen. Mit offensivem Informationsgebaren. Diese tief in uns eingeschriebene Unart, sich über die Definition und Abschottung von "Herrschaftswissen" Vorteile zu holen, ist ja nicht per Dekret zu mildern. Da müssen sehr konkrete Taten gesetzt werden. Dabei hilft es wenig, wenn allein schon durch Technologieschübe diese Ära der Wissensvorsprünge zu verblassen beginnt.
Man gehört zu offenen Konferenzen durch Absichtserklärung und aktive Teilnahme. Diese Plattformart, vorzugsweise webgestützt, verlangt nur so viel an Institution: Begleitende Dokumentation als Orientierungshilfe und wenigstens ein, zwei Leute, welche die Kontinuität betreuen. Kein strukturelles Delegationsprinzip und keine Funktionärsschicht, die als "Zwischendecke" eingezogen ist. Die Teilnehmenden der Konferenz stehen in direktem Kontakt zu jenen, an welche die Konferenz adressiert ist. Träume? Das behaupten nur noch die Verschlafenen. Und die Konservativen, die wir inzwischen natürlich auch hervorgebracht haben.
Man kann sagen: Wir konstituieren uns durch adäquates Kommunikationsverhalten. Das genügt. Das funktioniert. Wir sorgen dafür, als lokale Communities Wirkung zu entfalten und mehrere solcher Communities wie auch Einzelpersonen informationell zu vernetzen; folglich ebenso (sporadisch) überregionale Kooperationen zu realisieren. Wie dabei die einzelnen Leute ihr Engagement und ihr Erwerbsleben konzipieren, bleibt ihnen überlassen. Wichtig ist es allerdings, sich weiterhin an realen Tischen real zu treffen.

Kunst, Kultur etc.
Bei aller Verschiedenheit von Intentionen verbinden einen zentrale Anliegen. Etwa das Vorhaben, jenseits traditioneller Zentren Kristallisationspunkte vielfältigen kulturellen Geschehens zu schaffen und zu sichern, ohne sich dabei in ein Konkurrenzverhältnis mit solchen Zentren zu bewegen. Diese Konzentration auf das Regionale wird freilich mit überregionalen Bezügen und Verknüpfungen ausgestattet.
Auffallend viele unter uns sind gleichermaßen als Kunstschaffende wie als Vermittelnde und Veranstaltende tätig – vor dem einfachen Hintergrund, daß man hätte in Zentren abwandern müssen, falls es einem nicht gelungen wäre, Beiträge zu leisten, durch die regional angemessene Strukturen und jenes Klima entstehen, in denen wir überleben können. Ob es jemandem gelingen mag, aus solchen Bedingungen heraus, von solchen Orten her, weltbewegende Beiträge zur Kunstgeschichte zu leisten, ist für einen wie mich eine völlig irrelevante Frage. Der Primat des herausragenden Genies ist in unserem Milieu eine ganz unerhebliche Konstruktion.
Die künstlerische Praxis führt nicht ausschließlich, aber auch in Teamsituationen und längerfristige Prozesse. Der Teambezug und das Prozeßhafte sind Anlaß für inhaltliche Anregungen, soziale Erfahrungen und haben eine weitere, wichtige Funktion. Sie zielen auf eine wachsende Reichweite (der Arbeiten), wie sie sonst nur im Rahmen konventioneller Marktstrukturen realisiert werden kann. All das geschieht mehr oder weniger im Wechselspiel mit den anderen Aspekten des kulturellen Engagements.

Community
Sollte man knapp zusammenfassen, was uns ausmacht, ließe sich folgendes redlich behaupten: Wir sind eine Community, die mit meist sehr geringen Mitteln äußerst effizient arbeitet und dabei in der Verfolgung ihrer Intentionen sehr vielfältige Kompetenzen entwickelt. Spezialistentum ist da eher untypisch und manchmal kontraproduktiv. Während der "klassische Genietyp" des Kunstgeschehens eine nennenswerte Vorgeschichte mit vielfältigen Traditionen hat, die aus der Feudalzeit, über die bürgerliche Gesellschaft des vorigen Jahrhunderts in die Gegenwart verzweigen (und wohl auch in eine Zukunft weisen), während vieles an Avantgarde sich also von antiquierten Strukturen ableitet (und in antiquierten Strukturen überhaupt erst zu etablieren vermag – den Markt, die Öffentlichkeit erreicht), verkörpern wir sozial- und kulturgeschichtlich eine Novität ... was nur insofern von Belang ist, als wir uns Möglichkeiten und Strategien sehr mühsam erarbeiten müssen, ohne uns auf nutzbare Vorgeschichten stützen zu können. (Das Mühsame ist allerdings keine brauchbare Grundlage mehr zum Erwerb von Sozialprestige. Anders ausgedrückt: Wen interessiert schon, daß es schwierig ist? So ist eben der Job.) Traditionen?
Die Tradition des Vereinslebens als erster Basis einer Massenpolitisierung und kultureller Organisation auf Massenbasis ist schnell ausgereizt, zumal sie hierzulande in hohem Maße der überhitzten Variante von Nationbuilding gewidmet war. All das zusätzlich zu den üblichen Belastungen künstlerischen Schaffens, über die hier keine weiteren Worte verloren werden müssen. So sind neue Qualitäten gefragt. Die Individualgröße des einsamen Genies generiert ebenso verläßliche Nervensägen wie der rudelorientierte Institutionsmensch.
Und während vor allem die 50er-Jahrgänge noch sehr dazu neigen, einen Großteil ihrer Arbeitskraft an starre und formale Wertschätzungsrituale zu verschwenden, um ein soziokulturelles Kuscheleck zu simulieren, an das sowieso niemand glaubt, scheinen viele jüngere Leute wesentlich direkter zur Sache zu kommen.
Anregende neue Formationen haben Akteurinnen und Akteure, deren Haltung nicht darauf abzielt, sich aus alltagsnotwendigen und zweckrationalen Anforderungen zu suspendieren. Derlei Freistellungen bleiben manchen Momenten der künstlerischen Praxis vorbehalten. Was uns als Community ausmacht, wird in einem wachsenden Bemühen um Transparenz und Kommunikation deutlich. In einer offenen Gemeinschaft, die sich nicht formiert, indem sie einfach alte Organisationsformen fortschreibt: Lagerbildung und Lagerbindung, Abgrenzungen, Funktionärswesen, Wissensmonopole, verschlossene Verhandlungszimmer etc.
Was ich hier – bewußt großzügig angelegt – als "das Milieu" verstehe, ist im Kern eine Szene von Einzelpersonen und von autonomen Kulturinitiativen ... allerdings mit vielfältigen Verzweigungen. Ohne programmatische Grundsatzkonzepte, an die alle gebunden wären. Sehr offen. Mit starken Positionen in der Provinz. Oder zumindest: dezentral.

[Meine persönlich bevorzugte Variante habe ich in der virtuellen akademie nitscha (v@n) als work in progress realisiert. [www.van.at] Anhand der diversen v@n-Aktivitäten und (vor allem) wie diese zusammenhängen, läßt sich überprüfen, wie das oben Skizzierte für eine praktische Umsetzung gemeint ist. Ohne das gegen andere Typen von Kunst- und Kulturschaffenden als Primat durchgesetzt zu wünschen, bevorzuge ich eine Position, die drei grundsätzliche Bezugspunkte im Zusammenspiel gehalten fordert: a) künstlerische Praxis, b) soziale Kompetenz, c) politische Relevanz
Was das im einzelnen bedeutet, was das als Summe von Handlungsmöglichkeiten verlangt, ist Gegenstand der v@n-Aktivitäten. Ist aber auch Tatsache von de nada ... siehe auf action.at unter *organizations*.]

feedback: krusche@van.at



updated: 24.09.1999 by martin krusche
 
 
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